Endlich frei!

Wir waren in den Ferien, oder freuen uns noch auf sie. «Endlich frei!», sagt man dann am Strand, oder wo immer man die Ferien gerne verbringt. Das erinnert mich an den Märchenfilm Die stolze Prinzessin (Pyšná princezna), gedreht im Jahr 1952 während der stalinistischen Ära in der Tschechoslowakei. Dennoch hat man sich auch in diesem Film einen Witz erlaubt: Denn in diesem Märchen lebt ein Schuhmacher in einem Königreich, wo das Singen verboten wurde (und das dem totalitären Regime nicht ganz unähnlich ist). Glücklicherweise wohnt er aber an der Grenze zu einem anderen Königreich, das frei ist. Und so geht er, wann immer er es nicht mehr aushalten kann, schnell hinter den Grenzstein ins Nachbarland und singt seine Lieblingslieder. Natürlich würde er lieber zu Hause bleiben, doch dort darf er eben nicht singen. Nun könnte man sagen, wir leben doch in der freien Schweiz, das trifft auf uns nicht zu. Doch sind wir in unserem Alltag wirklich so frei? Oder erinnert unser Leben bereits an das Leben des Schuhmachers, sodass wir nur in den Ferien unsere Lieblingslieder singen können?

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Steht also fest und lasst euch nicht wieder in das Joch der Knechtschaft einspannen, schreibt Paulus in seinem Brief an die Galater (5,1). Neben der Liebe ist die Freiheit einer der wichtigsten Werte, die sich das junge Christentum auf die Fahne schreibt. Doch wer verbindet heute den Glauben noch mit der Freiheit? Erlebe ich meinen Glauben als Befreiung oder als Belastung? Und wenn ich ihn als Belastung erlebe, was müsste sich ändern, damit ich wieder frei bin? Bei Paulus waren es die religiösen Vorschriften des Judentums. An sich eigentlich eine gute Sache. Dennoch spricht Paulus an dieser Stelle über «das Joch der Knechtschaft», zumal diese Regeln die Christen in Galatien die Freiheit gekostet haben.

Denn die Freiheit kann man auf zweierlei Art und Weise verlieren: Sie kann einem mit Gewalt genommen werden, wie es etwa im ehemaligen Ostblock der Fall war. Oder man kann sich freiwillig «in das Joch der Knechtschaft einspannen» lassen, wenn man beispielsweise das Leben mit Vorschriften und Regeln immer wieder zu ‹verbessern› versucht. Doch erfahrungsgemäss geht in diesem Fall nicht nur die Freiheit, sondern auch das Leben unter. Den einzigen Schutz bietet hier meines Erachtens nur die Sehnsucht nach einer noch grösseren Freiheit – nach einer Freiheit, die grösser ist als wir. Nur so behalten wir auch die Freiheit, die wir bereits haben.

Die Ferienzeit ist eine gute Gelegenheit dieser Sehnsucht Raum zu geben und unseren Alltag aus der Ferne etwas genauer zu betrachten: Sind wir frei oder müssen wir immer wieder weg, um singen zu können?

Der Hauch Gottes

Wenn man «Pfingsten» sagt, denken diejenigen, die mehr im Blick haben als einen freien Montag und die Ferien, vor allem an die Erzählung aus der Apostelgeschichte (Apg 2,1–13). Hier, im zweiten Teil seines literarischen Diptychons, erzählt der Evangelist Lukas, was nach der Auferstehung Christi passiert ist: Vierzig Tage hindurch erscheint der Auferstandene seinen Jüngern und erzählt ihnen über das Reich Gottes, bis er schliesslich in den Himmel aufgenommen wird. Und nach zehn Tagen, am fünfzigsten Tag nach Ostern (Griechisch «Pentēkostē» – davon auch das deutsche Wort «Pfingsten»), ist es endlich so weit – der verheissene Heilige Geist kommt:

Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. (Apg 2,1–4)

Das ist «Pfingsten» aus der Feder des Evangelisten Lukas.

Eine ganz andere Geschichte erzählt der Evangelist Johannes: Hier empfangen die Jünger den Heiligen Geist nicht am fünfzigsten Tag nach Ostern, sondern bereits am Ostersonntag und auf eine ganz andere Art und Weise. Es gibt keinen heftigen Sturm mit Feuerzungen, sondern einen sanften Hauch. Der Auferstandene haucht sie an und sagt: «Empfangt den Heiligen Geist!» (Joh 20,22). Das griechische Verb, das hier verwendet wird, kommt im Neuen Testament nur hier vor und auch im griechischen Alten Testament ist es rar. Doch bereits die erste Stelle dort ist sehr aussagekräftig. Denn hier geht es um die Schöpfung des Menschen im Buch Genesis, wo es heisst:

Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. (Gen 2,7)

Was will der Evangelist Johannes damit sagen? In diesem Fall muss man bei der Antwort tief durchatmen: Wie Gott damals Adam, haucht auch Jesus seine Jünger an und erschafft durch den Heiligen Geist einen neuen Menschen. Hier erfüllt sich die im Johannesevangelium verheissene neue Geburt (Joh 3,3) und ein neuer Mensch wird Wirklichkeit, wie es auch Paulus später schreibt (2 Kor 5,17). Ein neuer Mensch, der nicht mehr von seiner irdischen Vergangenheit, sondern von seiner himmlischen Zukunft bestimmt wird. Denn der Geist öffnet uns schon jetzt eine neue Dimension im Leben, damit wir «in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln» können (Röm 6,4). Machen wir uns also auf den Weg!

Gott alles in allem

Der Herbst ist wieder da und mit ihm das Wetter, das viele von uns etwas melancholisch stimmt. Der Nebel, Regen und die Natur, die sich langsam auf den Winterschlaf vorbereitet, laden zum Nachdenken ein. Und am letzten Sonntag im November blicken wir auch auf das vergangene Kirchenjahr zurück und sind in Gedanken bei den Menschen, die wir in diesem Jahr verloren haben. Wir nennen diesen Sonntag den «Ewigkeitssonntag», denn wir werfen einen Blick in die Ewigkeit. Und als Christinnen und Christen sehen wir dort Christus, der als König über alles regiert. Deswegen wird dieser Sonntag in einigen Kirchen auch als «Christkönigssonntag» bezeichnet. Und am Ende der Zeit wird auch der Tod entmachtet, wie es Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt:

Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod. Wenn Christus dann alles unterworfen ist, wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei. (1. Korinther 15,26.28)

Die Ewigkeit stellt den Tod der Zeit dar und mit ihr stirbt auch der Tod. Was übrig bleibt, ist «Gott», der «alles in allem» ist. Da Gott aber nicht zeitlich ist, ist es von der Perspektive der Ewigkeit her betrachtet schon jetzt der Fall. Doch wir als Menschen, zumal wir im Unterschied zu Gott zeitlich sind, sehen nur einen kleinen Ausschnitt des Ganzen.

Der bekannte Religionsphilosoph Alan Watts (1915–1973) erzählt dazu ein schönes Gleichnis. In seinem Buch Die Illusion des Ich (On The Taboo Against Knowing Who You Are) schreibt er:

Wenn ich einen Baum zum ersten Mal im Winter sehe, dann kann ich annehmen, dass es kein Obstbaum ist. Aber wenn ich ihn im Sommer wieder sehe und feststelle, dass er voller Pflaumen hängt, dann muss ich sagen: »Entschuldigung! Du bist doch ein Obstbaum.«

Auch wir wissen nicht, wer wir wirklich waren und sind und was wir in der Ewigkeit sein werden, zumal wir nur unser heutiges Leben kennen. Doch von der Gegenwart her auf das Ganze zu schliessen, wäre genauso töricht, wie über einen Obstbaum im Winter zu urteilen, oder zu denken, den Herbst darf es nicht geben. Allerdings wissen wir, dass der Herbst zum Kreislauf der Jahreszeiten gehört, in dem nach dem Winter der Frühling kommt. Und so lassen wir uns die Freude an den bunten Blättern und vielleicht auch an dem Nebel und später an dem Schnee nicht nehmen. Und dies sollten wir auch bei den Jahreszeiten unseres Lebens tun!

Vom Zauber der Mittsommernacht

Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort! Er ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels. (Gen 28,17)

Es gibt zweifelsohne Orte, die näher am Himmel ‹gebaut› sind als andere, wie zum Beispiel das alttestamentliche Bet-El, wo Jakob im Traum eine Treppe in den Himmel sieht, auf der Engel Gottes auf- und niedersteigen (Gen 28,10–22). Oder wie in unserer Zeit der Wallfahrtsort Lourdes, die Kathedrale von Chartres oder bei uns in der Schweiz die Kirche Scherzligen, die zu den tausendjährigen Kirchen am Thunersee gehört und sich auf einem uralten Kraftort befindet. Wenn man solche Orte betritt, spürt man unmittelbar die Kraft, die sie ausstrahlen. Und zweifelsohne gibt es auch Zeiten, zu denen sich der Himmel an vielen verschiedenen Orten öffnet und sie zu heiligen oder magischen Orten macht; auch wenn nur für eine kurze Zeit – etwa für eine Nacht.

Die Mittsommernacht, die man am Tag der Sommersonnenwende feiert, ist in diesem Fall die beste ‹Adresse› für alle, die etwas von dieser magia naturalis (natürlichen Magie) erleben wollen. Im Christentum ist die Mittsommernacht mit dem Hochfest der Geburt Johannes‘ des Täufers am 24. Juni verbunden, die im Kirchenjahr den sommerlichen Gegenpol zur Geburt Christi bildet. Aus diesem Grund hat man früher auch von der «Sommerweihnacht» gesprochen und im Norden Europas wird diese Nacht bis heute fast mehr gefeiert als Weihnachten und ihr Zauber spiegelt sich auch in der bekannten Komödie Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare wider.

Doch was macht die Magie dieser Orte und Zeiten eigentlich aus? Meines Erachtens ist es vor allem eine Art Erkenntnis: Wir stellen fest, dass wir in unserem Innersten nicht getrennt, sondern tief verbunden mit dem Universum sind. In diesem Augenblick öffnet sich in uns Menschen «das Tor des Himmels» (Gen 28,17) und es erfüllt sich das, was Jesus im Johannesevangelium seinen Jüngern verspricht:

Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn. (Joh 1,51)

Über den Glauben hinaus

Wer kennt nicht das «Höhlengleichnis» des griechischen Philosophen Platon (ca. 429–347 v.Chr.), wo Menschen – von Kindheit an in einer Höhle gefesselt – nur Schatten verschiedener Gegenstände zu sehen bekommen und diese für die einzige Wirklichkeit halten? Es ist das bekannteste Gleichnis der Philosophiegeschichte überhaupt und es drückt zugleich ein allgemeines Gefühl der Menschheit aus: Die Welt ist rätselhaft und das, was wir sehen, kann nicht die ganze Wahrheit sein. Oder wie es der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe poetisch sagt: «Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis» (Faust 2,V). Doch ein Gleichnis ist ein Zeichen, das auf etwas Anderes hinweist, und in diesem Fall ist es ein Wegweiser zum Unvergänglichen.

Wie die meisten Religionen und Philosophien knüpft auch das Christentum hier an und verspricht den Suchenden, sie in die Wahrheit zu führen, wie der Apostel Paulus schreibt: «Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin» (1Kor 13,12). Doch wann geschieht es? Wann sehen wir nicht mehr nur rätselhafte Umrisse, sondern schauen Gott von Angesicht zu Angesicht? 

Das Johannesevangelium zeigt uns hier den einfachsten Weg. Hier heisst es gleich am Anfang: «Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht» (Joh 1,18). In Christus können wir Gott erfahren, ja noch mehr: In Christus können wir Gott berühren. Denn am Ende der Geschichte sagt der Auferstandene: «Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!» (Joh 20,27). Und mit dieser Berührung verlassen wir das Grab, die Welt der Schatten und Gleichnisse, und werden über den Glauben hinaus geführt, hin zu der Wirklichkeit der Auferstehung. Denn die Auferstehung geschieht überall dort, wo wir Gott berühren und von ihm berührt werden: hier blüht das Leben auf.

Haben wir also keine Angst, Gott zu berühren und von ihm berührt zu werden: dafür ist die Osterzeit da.

Wenn die Schwalbe im Frühling zurückkommt

Über das Evangelium der Natur und ein vergessenes Christentum

Es ist leicht, an diesen Tagen über die Auferstehung zu predigen. Denn Ostern feiert man ja jedes Jahr nach dem ersten Frühlingsvollmond und zu dieser Zeit wacht die Natur gerade aus ihrem Winterschlaf auf. Die Welt um uns herum wird dann zu einem grossen bunten Bilderbuch, in dem die Natur ein Gleichnis über die Rückkehr des Lebens erzählt. Jede Blume und jeder Vogel verkünden nun das Osterevangelium. Der Prediger muss darauf nur aufmerksam machen. Denn das Kirchenjahr gleicht sich hier dem Rhythmus der Natur an, wie etwa auch zu Weihnachten, wo die Geburt Christi und mit ihr das aufgehende Licht an dem alten Tag der Wintersonnenwende gefeiert wird.

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Wenn ihr fastet …

Am 2. Februar, am Fest der ‹Darstellung des Herrn› (vgl. Lk 2,22–40) – auch ‹Mariä Lichtmess› genannt, löst die grüne liturgische Farbe das strahlende Weiss der Weihnachts- und Epiphaniaszeit ab. Im Februar kehren wir also gewissermassen zu dem liturgischen ‹Alltag› im Kirchenjahr zurück. Doch bereits einen Monat später, am 2. März, läutet der Aschermittwoch die Passionszeit an und die violette liturgische Farbe lädt uns, wie schon in der Adventszeit, zur Besinnung ein. Und während das Fasten in der Adventszeit im Westen fast in Vergessenheit geraten ist, ist es während der Passionszeit auch in den protestantischen Kirchen noch immer präsent. Man spricht auch bei uns oft sogar über die «Fastenzeit» und es gibt viele evangelische Christinnen und Christen, die in der Passionszeit auf die eine oder andere Art fasten. Doch wie fastet man richtig?

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Zeit der Erwartung – Zeit der Erfüllung

Wenn Sie – wie ich – nicht gerne warten, dann sind diese Zeilen für uns. Denn ich persönlich gehöre nicht zu den Menschen, die gerne warten. Und ich weiss auch selten etwas Vernünftiges mit der Zeit in einem Warteraum oder im Zug anzufangen. Diese ‹Wartezeiten› könnte man zweifelsohne gut nutzen, es fehlt mir aber an Konzentration, zumal ich gedanklich schon bei dem kommenden Termin bin. Deswegen fahre ich oft lieber mit dem Auto, denn dort habe ich mindestens das Gefühl, ich kann etwas dafür tun, dass ich vorwärts komme – was natürlich eine schöne Illusion ist.

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