Er war die Lampe, die brennt und leuchtet… (Joh 5,35)
«Es gibt nichts Neues unter der Sonne» (Koh 1,9c), «was geschehen ist, wird wieder geschehen» (Koh 1,9a), «alle Flüsse fliessen ins Meer» (Koh 1,7a), «alle Dinge sind rastlos tätig» (Koh 1,8a), «das ist alles Windhauch» (Koh 1,2c), schreibt im Buch Kohelet der Prediger, der König in Jerusalem war (Koh 1,1), und der Tradition nach Salomo hiess.
Unser Leben dreht sich im Kreis: Wie feiern die Sommersonnenwende, wie letztes Jahr, und in sechs Monaten feiern wir Weihnachten, wie jedes Jahr. Wir feiern Geburtstage, begrüssen uns und nehmen Abschied. Und wenn man älter ist, wird man vom Leben nur selten überrascht, wie der König von Jerusalem auch, denn:
Geschieht etwas, von dem man sagen könnte: «Sieh, das ist neu!» – Es ist längst zuvor auch geschehen in den Zeiten, die vor uns gewesen sind. (Koh 1,10)
Alles dreht sich im Kreis, die Erde, die Planeten und die Galaxien. Nach dem Tag kommt die Nacht und nach der Nacht kommt der Tag. Und es gibt Religionen, die glauben, dass sich auch unser Leben und unsere Geschichte im Kreis drehen, dass das Ende der Anfang ist, und wir nach unserem Tod wiedergeboren werden und unsere Welt auch.
Im Prinzip sind diese Kreise nicht schlecht, denn sie geben unserem Leben die nötige Stabilität, die jeder von uns braucht. Und wir würden zweifelsohne sehr schnell an unsere Grenzen kommen, wenn wir gegen den Tag, die Nacht oder die Jahreszeiten ankämpfen würden und nicht in einer Harmonie mit der Natur leben würden.
Schlecht ist es allerdings, wenn sich in unserem Leben Kreise etablieren, die uns gefangen halten. Es gibt Menschen, die immer wieder dieselben Fehler wiederholen, indem sie auf bestimmte Situationen immer wieder gleich reagieren. Dadurch bilden sich im Leben feste Schemata und man befindet sich sehr schnell in einem Teufelskreis oder in einem Hamsterrad: Man erwartet nichts mehr vom Leben und verliert die Lebensfreude. Einige werden passiv und depressiv, andere wiederum hyperaktiv, indem sie die innere Leere mit zahlreichen Aktivitäten zu füllen versuchen. In beiden Fällen bewegt man sich aber nicht vom Fleck und man steckt in diesem Kreis fest.
Dass sich in unserem Leben bestimmte Routinen bilden, ist natürlich gut, und wie ich schon gesagt habe: wir brauchen solche Kreise zum Leben. Unser Leben sollte aber keinen geschlossenen Kreis bilden, sondern eine Spirale. Denn eine Spirale lässt die Wiederholung zu und hat eine feste Mitte, sie ist aber nach aussen offen. Was sollten wir aber tun, wenn wir das Gefühl haben, dass sich unser Leben nur im Kreis bewegt? Oder noch schlimmer: Wenn schwarze Wolken in unserem Leben die Sonne verdecken und eine trostlose Dunkelheit zieht unausweichlich auf?
In diesem Fall brauchen wir ein Wunder. Denn wir können unsere Kreise nicht ‹selbst› durchbrechen, weil es sich eben um ‹unsere› Kreise handelt, und wir können uns nicht selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen. Wir brauchen einen Impuls von aussen, der uns bewegt; oder eine kleine Lampe, die die Dunkelheit erhellt und uns auf dem Weg nach aussen hilft.
Über Johannes den Täufer sagt Jesus im Johannesevangelium:
Er war die Lampe, die brennt und leuchtet. (Joh 5,35)
Und ganz am Anfang, im Prolog des Johannesevangeliums, heisst es:
Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. (Joh 1,7)
Denn auch eine kleine menschliche Lampe ist eine Zeugin des Lichts, ein Beweis dafür, dass es Licht gibt, ein Wegweiser in den Tag des Glaubens.
Johannes selber antwortet dann später auf die Frage, wer er sei:
Ich bin die Stimme eines Rufenden in der Wüste. (Joh 1,23a)
Er ist der, der auf einem Ort des Todes predigt, der uns in der Wüste unseres Lebens zurück ins ruft. Er ist der Wegweiser zu Christus auf einem Ort, wo sonst nur Sand zu finden ist. Er ist der Weckruf den wir brauchen, wenn wir uns im Kreis bewegen. Das war schon im Alten Testament die Aufgabe eines Propheten: Das irrende Volk zurück zum Herrn zu bringen.
Doch, wo ist Johannes heute? Was ist mit dem feurigen Geist passiert, den wir heute so dringend bräuchten, damit er uns zur rechten Zeit ermahnt; uns daran erinnert, was im Leben von Bedeutung ist; unsere Dunkelheit erhellt; und uns zu Christus – dem wahren Leben – führt?
Er ist überall. Denn der Geist, der Johannes befeuerte, ist auf alle ausgegossen worden, wie es im Buch des Propheten Joel heisst (Joel 3,1–5):
Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben und eure jungen Männer haben Visionen.
Seit Pfingsten ist der Geist frei und weht, wohin er will (Joh 3,8), und wir begegnen ihm jeden Tag: Zum Beispiel in den wunderschönen Gemälden, die wir in den Galerien bewundern; in der Musik, die wir am Abend hören; oder in den Gedichten, die in Momenten der Stille unser Herz berühren. Denn es gibt jetzt nicht mehr nur einen Johannes, der uns in der Wüste unseres Lebens ruft, um uns zu befreien, sondern es gibt viele. Es reicht also, wenn wir durch den Tag mit offenen Augen gehen, und wir werden dem feurigen Geist begegnen, der unser Leben verwandelt. Denn die meisten Wunder geschehen im Alltag.