Prüft alles und behaltet das Gute!

Prüft alles und behaltet das Gute! (1Thess 5,21), heisst die Losung für das neue Jahr 2025.

Ein Vers aus dem Schlusswort des ersten Briefes des Apostels Paulus an die Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki. Paulus hat diese Gemeinde erst vor Kurzem gegründet und sie liegt ihm sehr am Herzen. Und so will er den Christinnen und Christen in dieser neuen Gemeinde noch etwas auf den Weg geben. Es ist also so etwas wie das Sendungswort in unserem reformierten Gottesdienst: Die Predigt wurde schon gehalten, die Lieder schon gesungen, doch mit dem Segen kommt noch ein Wort aus der Bibel, das man mitnehmen sollte. Ein Wort, das idealerweise das Wichtigste zusammenfasst. Etwas Praktisches auf den Weg, was man mitnehmen kann, auch wenn man vielleicht die theologisch komplizierte Predigt nicht verstanden hat. Und wenn man sich das Schlusswort in diesem Brief des Paulus in der Bibel anschaut, dann stellt man fest, dass dort noch einiges mehr steht und das unser Vers eine sehr schöne Umrahmung hat. Denn Paulus schreibt dort:

Freut euch zu jeder Zeit! (V. 16)
Betet ohne Unterlass! (V. 17)
Dankt für alles! (V. 18)
Löscht den Geist nicht aus! (V. 19)
Verachtet prophetisches Reden nicht! (V. 20)
Prüft alles und behaltet das Gute! (V. 21)
Meidet das Böse in jeder Gestalt! (V. 22)

Eine ganze Reihe von Sachen, die die neuen Christinnen und Christen in Thessaloniki tun sollten und die man ruhig auch als gute Vorsätze für das neue Jahr nehmen könnte. Allerdings sind es vielleicht zu viele Sachen, könnte man meinen. Doch wenn man sich diese sieben Verse genauer anschaut, lassen sie sich relativ einfach zusammenfassen und man könnte sie folgendermassen paraphrasieren: Bleibt offen, geht mit Freude durch das Leben und meidet das Böse!

Der erste Thessalonicherbrief ist das älteste Dokument im Neuen Testament und wurde um das Jahr 50 n. Chr. geschrieben, also nur ca. 20 Jahre nach dem Tod Jesu. Und dieser Brief strahlt für mich noch mehr als die anderen Schriften im Neuen Testament den Geist des frühen Christentums aus, der noch sehr stark durch die Gemeinden weht. Und dieser Geist bringt die Lebensfreude mit sich, und zwar in einem solchen Ausmass, dass die Aussenstehenden meinen könnten: «Sie sind vom süßen Wein betrunken» (Apg 2,13), wie es in der Apostelgeschichte heisst. Und vielleicht waren auch einige Christinnen und Christen in Thessaloniki der Meinung, es sei in bisschen zu viel Freude. Vielleicht sollte man als Kirche etwas organisierter und ernsthafter unterwegs sein, nicht dass die Nachbarn denken, hier finden ganze Zeit nur wilde Partys statt, wo man offensichtlich noch irgendwelche verbotene Substanzen zu sich nimmt, denn die Menschen reden Unsinn.

Hier trifft, denke ich, vollkommen das alte Sprichwort zu, das dies hervorragend illustriert und wo es heisst:

Die Tanzenden wurden für verrückt gehalten von denjenigen, die die Musik nicht hören konnten.

Denn der Geist ist die Musik und nicht alle können sie hören. Doch diese Musik ist sehr wertvoll und sie bringt viel mehr mit sich als nur Freude. Sie heilt und verwandelt Menschen, sie gibt Liebe und Weisheit, sie gibt Erkenntnis und Einsicht, und dies sogar in die zukünftigen Ereignisse im Leben.

Deswegen schreibt Paulus der Gemeinde in Thessaloniki: «Löscht den Geist nicht aus!» (V. 19). Auch wenn ihr das Gefühl habt, es sei zu viel und ihr für verrückt gehalten werden solltet. Denn der Geist ist einfach zu wertvoll. Vielmehr solltet ihr mit Gebet, Dank und Freude dafür sorgen, dass der Geist in der Gemeinde mehr Raum bekommt und seine Wirkung zunimmt. Und er gibt ihnen auf diesen Weg des Lebens im Geist nur eine einzige Regel. Kein kompliziertes Handbuch der Dogmatik oder ein Satz von pastoral-theologischen Kriterien, sondern eine ganz einfache Regel. Er schreibt ihnen: Prüft alles und behaltet das Gute! (V. 21). Das ist es – nichts mehr und nichts weniger. Lasst den Geist wehen, wo er will (Joh 3,8), ja vielleicht alles durcheinander zu bringen, denn ihr wisst ja nicht, wozu das gut ist. Das einzige Kriterium sind die Früchte, wie es auch Jesus im Matthäusevangelium sagt:

Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte hervorbringen und ein schlechter Baum keine guten. (Mt 7,18)

Wir sollten also offen bleiben und dem Geist erlauben, sich in unserem Leben zu entfalten und zu wirken. Auch dann, wenn es sich komisch anfühlt und wenn wir uns über uns selbst wundern müssen, was wir da eigentlich machen. Wir sollten immer das Unbekannte wagen und prüfen, welche Früchte der Baum unseres Lebens trägt, denn das bringt uns im Leben weiter und das heisst Leben aus dem Glauben. Denn, wenn man den Geist auslöscht, verdorrt der Baum des Lebens und wird zum toten Holz, das sich nur noch als Brennholz eignet (Joh 15,6). Und dies ist deutlich schlimmer als ein paar schlechte Früchte.

Haben wir dieses Jahr also keine Angst vor falschen Entscheidungen und lassen wir uns vielmehr vom Geist Gottes führen. Denn wie Paulus im Römerbrief schön schreibt:

Die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes. (Röm 8,14)

Und irgendwie überrascht es nicht, dass er diesen Vers in die Hauptstadt des Römischen Reiches schreiben muss, wo alles so organisiert und durchdacht ist. Denn Rom ist anders als Griechenland. Und die Gefahr besteht auch bei uns, dass wir versuchen, den Geist mit Paragrafen zu leiten. Dass wir das Gefühl haben, dass wir mit einer Liste voll von richtigen Kriterien auch die richtige Entscheidung treffen würden. Aber so funktioniert das Leben nicht. Damit löscht man den Geist nur aus und der Baum des Lebens beginnt an Kraft zu verlieren. Ausserdem ist es eine Illusion und eine Art der Selbsttäuschung zu denken, dass wir auf diese Art und Weise für uns und unser Leben die richtige Entscheidung treffen können.

Der britische Religionsphilosoph Alan Watts erzählt dazu in einem seiner Vorträge (Do You Do It or Does It Do You?) ein schönes Gleichnis, in dem er illustriert, wie sich Menschen mit Entscheidungen schwertun. Er erzählt über einen Bauer, der einen Hilfsarbeiter zu sich bestellte:

[Und der Bauer stellte fest], dass dieser ein ausserordentlich effizienter Arbeiter war. Am ersten Tag liess er ihn Baumstämme sägen. Und er sägte mehr Stämme als irgendjemand zuvor. Es war fantastisch. Alles war an einem Tag fertig. Am nächsten Tag liess er ihn Zäune reparieren. Und rund um die Farm waren alle möglichen kaputten Zäune. Und an einem Tag war er mit der ganzen Sache fertig. Also dachte er: «Was soll ich mit diesem Kerl machen?» Also nahm er ihn mit in den Keller und sagte: «Schauen Sie, hier sind alle Kartoffeln, die von dieser Ernte eingebracht wurden. Und ich möchte, dass Sie sie in drei Gruppen sortieren: die, die wir verkaufen; die, die wir zum Säen verwenden; und die, die wir wegwerfen.» Und dabei liess er ihn. Am Ende des Tages kam der Arbeiter zurück und sagte: «Nun, das reicht, Herr. Ich kündige.» «Nein!», sagte er. «Sie können nicht kündigen! Ich hatte noch nie einen so hervorragenden Arbeiter. Ich werde Ihr Gehalt erhöhen. Ich werde alles tun, um Sie hier zu halten.» «Eh», sagte er, «Nein»: «Zäune reparieren und Holz hacken ist in Ordnung, aber in diesem Kartoffelgeschäft müssen Sie eine Entscheidung nach der anderen treffen!»

Allan Watts bemerkt dazu:

Wenn wir also eine Entscheidung treffen, machen wir uns immer Sorgen: «Habe ich lange genug darüber nachgedacht? Habe ich genügend Daten berücksichtigt?» Und wenn Sie darüber nachdenken, stellen Sie fest, dass Sie nie genügend Daten berücksichtigen konnten. Die Daten für eine Entscheidung in einer bestimmten Situation sind unendlich. Sie tun also Folgendes: Sie überlegen sich, was Sie tun werden. Und dann, wenn die Zeit zum Handeln gekommen ist, treffen Sie eine vorschnelle Entscheidung.

Wir haben heutzutage Computermodelle, die vorhersagen können, wie sich die Märkte in einem Jahr entwickeln werden, und sogar die künstliche Intelligenz (KI), die uns das Entscheiden in vielen Situationen abnehmen kann. Doch das Leben passt in kein Computermodell und die KI hat keine Intuition – sie kann sich, im Unterschied zu uns Menschen, nicht vom Geist Gottes leiten lassen. Sie kann lediglich eine Unmenge an Daten in ihre Entscheidung einfliessen lassen. Doch ist es dann die richtige Entscheidung für mich und mein Leben? Das weiss nur Gott. Und ist es oft nicht sogar so, dass sehr unvernünftige Entscheidungen dem Segen in unserem Leben die Tür öffnen? Und dies kann keine KI leisten.

Nutzen wir also das Instrument, das uns zu Menschen und zu Kindern Gottes macht: das Herz. Und lassen wir uns mehr vom Geist Gottes leiten – das wünsche ich uns allen in diesem neuen Jahr!