Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiss. (Lk 9,29)
Vieles spricht dafür, dass die Geschichte über die «Verklärung des Herrn» irgendwo im Hermongebirge geschehen ist, mit dem höchsten Berg Hermon (2814 m hoch). Dort in den hohen, weiss strahlenden Bergen, die ein wenig an die Schweiz erinnern, wurde Jesus vor den Augen seinen Jüngern verwandelt. Seine Kleider leuchten strahlend weiss, wie die hohen Berge auch, und es erscheinen ihnen Elija und Moses, (die ja eigentlich schon vor Jahrhunderten gestorben sind), doch nun sprechen sie mit Jesus. Und von Lukas erfahren wir sogar, worüber sie mit ihm sprechen: Sie sprechen mit ihm «von seinem Ende, das er in Jerusalem erfüllen sollte» (Lk 9, 31b). Also über seinen Tod und die Auferstehung. Die Jünger sind von diesem himmlischen Ereignis so ergriffen, dass sie «Hütten» bauen wollen, um möglichst lange diese himmlische Szenerie zu geniessen und in der Nähe Gottes bleiben zu können. Das griechische Wort «σκηνή», das hier als «Hütte» übersetzt wird, bedeutet allerdings ein «Zelt» und es gibt eine ganz besondere Stelle im Neuen Testament, zu dem dieses Wort meines Erachtens hinweist: Zu der Menschwerdung Christi, wie es am Anfang des Johannesevangeliums heisst:
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns «gezeltet» und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Joh 1,14)
Hier spricht Johannes, der mit Jesus auf dem Berg war, als ein Augenzeuge über die Verklärung des Herrn, wenn er sagt: «Wir haben seine Herrlichkeit geschaut» (Joh 1,14). Zwar erzählt er in seinem Evangelium nicht über die Verklärung Jesu, aber er lässt in seinem ganzen Evangelium die Herrlichkeit des Herrn an jeder Stelle durchschimmern. Und er spricht bewusst vom «Zelten» und nicht vom «Wohnen» des Herrn unter uns. Denn ein Zelt ist auf Zeit, wie es später auch Paulus in seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth sagt, wenn er schreibt:
Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel. Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde. (2 Kor 5,1.4)
Das Zelt ist also unser irdischer Leib und wie Petrus in seinem ersten Brief schreibt, wird ‹dieses Zelt eines Tages abgebrochen› (1 Pe 1,12–14) – dann, wenn wir sterben. Was übrig bleibt, ist der «Zeltende» – also der innere Mensch, über den Paulus im 2. Korintherbrief schreibt:
Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äusserer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert. (2 Kor 4,16)
Denn müde und zerberechlich wird nur der «äussere Mensch», also das «Zelt». Der innere Mensch wird vielmehr «Tag für Tag erneuert», denn dieser ist der Geist, den Gott Menschen gegeben hat, als er sie erschuf, wie es im Buch Genesis heisst:
Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. [Er] formte den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. (Gen 1,26a; 2,7)
Ja, es ist der Geist, der Allem im Weltall das Leben verleiht und der von der Natur aus ewig ist. Doch woraus besteht dieser Geist? Voraus besteht ‹Gott› oder das ‹Göttliche›? Für uns klingt dies wie eine verbotene Frage, aber in der Antike und in der Bibel hat man die Antwort gekannt. Denn es ist das fünfte Element (neben Feuer, Wasser, Luft und Erde), wie es Cicero im ersten Buch seiner Gespräche in Tusculum andeutet, wenn er schreibt:
Wenn es aber eine fünfte Natur geben sollte, wie sie Aristoteles zuerst eingeführt hat, so ist sie die Natur der Götter und der Seelen. (I,65)
Und dieses fünfte Element ist eine Art ‹Äther› oder ‹Licht›, aber eine ganz besondere Art des Lichts: Es ist ein Licht, das nicht erschaffen wurde, sondern das selbst der Schöpfer von Allem ist, zumal dieses ‹Licht› Gott ist, wie es auch Johannes in seinem ersten Brief schreibt, wo es heisst:
Das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkünden: Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm. (Joh 1,5)
Und dieses «nicht erschaffene Licht» (Ἄκτιστον Φῶς), das eigentlich der ‹Schöpfer› ist bzw. seine ‹erfahrbare Wirkkraft› (Gregorios Palamas), wird in der Theologie auch als «Taborlicht» bezeichnet. Denn es ist eben das gleiche Licht, das die Jünger bei der Verklärung des Herrn gesehen haben, die nach der kirchlichen Tradition auf dem 588m-hohen Berg Tabor geschehen sollte, wo heute auch die franziskanische Verklärungskirche steht.
In der orthodoxen Tradition beleuchtet dann dieses Licht auch alle Ikonen, die aus diesem Grund keine irdischen Lichtquellen kennen und hiermit auch keine Schatten. Und auf eine ganz besondere Art und Weise erstrahlt dieses Licht natürlich auf Ikonen, die die «Verklärung des Herrn» darstellen, wie auf der wohl bekanntesten von ihnen: Der Ikone des Theophanes des Griechen (ca. 1330–1410) aus dem Jahre 1403, die heute in der Tretjakow-Galerie in Moskau zu sehen ist:
Wie der Name es schon verrät, stammte dieser wichtige Ikonenmaler aus Griechenland (Konstantinopel) und bei uns im Westen ist er nicht sehr bekannt. Es reicht aber, wenn man weisst, dass er der Lehrer von Andrei Rubljow (ca. 1360–1430) war, dem wohl bekanntesten russischen Ikonenmaler.
Das «Taborlicht» kann man auf dieser Ikone kaum übersehen: Es ist das zackige hexagonale Objekt, das hinter und rundum Jesus erstrahlt und die typische kreisförmige Mandorla (Aura) durchbricht, die auf Ikonen das «nicht erschaffene Licht» darstellt und aus diesem Grund in der Mitte dunkler ist – im Gegensatz zu dem erschaffenen Licht. Dieses neuartige Hexagon auf der Ikone des Theophanes bricht allerdings nicht nur die Mandorla Christi durch, (was an sich schon ein Bruch mit der byzantinischen Tradition wäre), sondern es bricht auch mit weiteren Konventionen der Ikonenmalerei. Denn auf dieser Ikone beleuchtet das blau-weisse Taborlicht mit drei asymmetrischen, gut sichtbaren Strahlen die Jünger und öffnet ihnen die Augen: links Petrus, in der Mitte Johannes, und rechts Jakobus. Und sogar der Prophet Elias (links) und der Gesetzgeber Moses (rechts) werden von diesem Licht beleuchtet, das die gleiche Farbe hat, wie die Wolken mit Engeln in den oberen Ecken, die wohl ein Hinweis auf die Stimme Gottes sind, wie es im Lukasevangelium heisst:
Da erscholl eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören. (Lk 9,35)
Und sogar der ganze Berg (bzw. hier wohl die Berge Karmel und Sinai); Jesus mit seinen Jüngern, die dort auf- und niedersteigen; und die Bäume, die auf die Passion Jesu und das Holz des Kreuzes hinweisen, werden von diesem blau-weissen Licht beleuchtet. Hiermit wird Jesus auf dieser Ikone zu einer sichtbaren Lichtquelle und darüber hinaus bestimmt das weise hexagonale Taborlicht mit seinen Zacken die gesamte Bildkomposition, die dreifaltig ist:
- oben, mit Elias, Jesus und Moses, die vom Bild her zur hellen himmlischen Sphäre gehören;
- und unten mit Petrus, Johannes und Jakobus, die vom Bild her zur dunkleren irdischen Sphäre gehören.
Die drei nach unten ausgerichteten Zacken sind also ein Hinweis auf den Abstieg Christi in die irdische Welt, (also auf seine Inkarnation), und die drei nach oben ausgerichteten Zacken sind ein Hinweis auf seinen Aufstieg in den Himmel, wohin wir ihm folgen sollten.
Damit schafft der Maler eine Art «Mandala», die in Indien und im Tibet unter dem Namen «Yantra» bekannt ist und die als physischer Ausdruck eines «Mantra» betrachtet werden kann, also eines sich ständig wiederholenden Gebets. Und das ist auch das, wozu uns die heilige Geometrie dieser Ikone einladen will, die sich im Westen noch in dem bekannten Bild von Raphael (1483–1520) widerspiegelt.
Die Ikone des Theophanes lädt uns also zur Kontemplation und zum Ruhegebet ein – einer Art des Gebets, bei der zuerst laut, dann leise und danach nur innerlich der Name Jesu wiederholt wird und die in der orthodoxen Tradition unter dem Namen «Hesychasmus» bekannt und sehr verbreitet ist. Das Ziel dieses Gebets ist die Verwandlung des Menschen, auf die in seinem Evangelium auch Lukas hinweist, wenn er schreibt:
Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiss. (Lk 9,29)
Denn das innere Licht, das wir von Gott bekommen haben (Joh 1,4), soll durch unser irdisches Zelt hindurch nach aussen erstrahlen. Wie es auch der schlesische Dichter und Mystiker des 17. Jahrhunderts Johannes Scheffler (1624–1677), der unter dem Namen «Angelus Silesius» bekannt ist, so schön schreibt:
Das edelste Gebet ist,
Wenn der Beter sich in das,
Vor dem er kniet,
Verwandelt inniglich.
Zu der Ikone des Theophanes des Griechen vgl. ausführlich das Buch von Andreas Andreopoulos, Metamorphosis: The Transfiguration in Byzantine Theology and Icongraphy, NewYork: St. Vladimir’s Seminary Press 2005, 244–251.