Warum sollte man am Sonntag eigentlich in die Kirche gehen? Vielleicht dürfte ein Pfarrer so eine ‹ketzerische› Frage gar nicht stellen, doch ich finde sie ist nicht nur legitim, sondern auch äusserst aktuell.
Denn die meisten Schweizer (74%) gehen heutzutage maximal fünfmal pro Jahr in den Gottesdienst. Die Gründe, warum man am Sonntag meistens etwas Besseres zu tun habe, sind zweifelsohne sehr vielfältig und individuell, zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass für die meisten Christen der Gottesdienstbesuch in den letzten Jahrzehnten zu einem Auslaufmodell geworden ist. Nun könnte man lange rätseln, ob etwa die Musik, die Liturgie oder sogar die Predigt dafür verantwortlich seien, doch ich wage zu behaupten, die alleine sind daran nicht schuld. Denn zu ihrer Verteidigung muss man sagen, dass sie nicht mehr der Grund sind, am Sonntag in die Kirche zu gehen. Die Bibel kann man ja gut zuhause lesen und dazu Musik hören, die man gerne hat. Beten kann man auch zuhause und man findet auch gute Predigten im Internet. Und an den meisten Sonntagen kann man ohnehin einem im Fernseher oder im Radio übertragenen Gottesdienst beiwohnen, denn viele Kirchen haben infolge der Pandemie ihre Online-Angebote ausgebaut. Warum sollte man also am Sonntag irgendwohin gehen?
Als einen Grund könnte man die Gemeinschaft angeben: Es macht mehr Spass die Bibel gemeinsam zu lesen und sich darüber auszutauschen. Dies ist der gleiche Grund, warum man zum Beispiel in ein Fitness-Studio oder einen Verein geht und nicht etwa zuhause vor dem Fernseher oder Computer übt. Doch auf dem Weg des Glaubens bringt die Gemeinschaft noch etwas mehr. Das Evangelium verheisst uns in diesem Fall nämlich eine besondere Gegenwart Christi, wie es bei Matthäus steht:
Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Mt 18,20)
Und diese Gegenwart Christi können wir uns nicht selber schenken, denn die entsteht nur in der Gemeinschaft mit den Anderen auf dem Weg des Glaubens. Wir treffen am Sonntag in der Kirche also nicht uns, sondern Christus. Und das ist das Geheimnis des Lebens aus dem Glauben.