Wenn die Schwalbe im Frühling zurückkommt

Über das Evangelium der Natur und ein vergessenes Christentum

Es ist leicht, an diesen Tagen über die Auferstehung zu predigen. Denn Ostern feiert man ja jedes Jahr nach dem ersten Frühlingsvollmond und zu dieser Zeit wacht die Natur gerade aus ihrem Winterschlaf auf. Die Welt um uns herum wird dann zu einem grossen bunten Bilderbuch, in dem die Natur ein Gleichnis über die Rückkehr des Lebens erzählt. Jede Blume und jeder Vogel verkünden nun das Osterevangelium. Der Prediger muss darauf nur aufmerksam machen. Denn das Kirchenjahr gleicht sich hier dem Rhythmus der Natur an, wie etwa auch zu Weihnachten, wo die Geburt Christi und mit ihr das aufgehende Licht an dem alten Tag der Wintersonnenwende gefeiert wird.

Die Schwalbe kommt aus Ägypten

Wer ein wenig belesen ist, könnte nun berechtigterweise protestieren, dass dies nicht so einfach sei: Denn aus den Evangelien wissen wir, dass Jesus sehr wahrscheinlich in der Tat im Frühling kurz vor dem Oster- bzw. Pessachfest gekreuzigt wurde, während seine Geburt von der Kirche auf den 25. Dezember gelegt wurde. Das Osterfest sei also mehr oder weniger historisch, das Weihnachtsfest dagegen künstlich. Doch ist nicht die ganze Welt ein Kunstwerk, in dem alle Ereignisse auf eine wundersame Art und Weise von einer verborgenen Symmetrie beherrscht werden? Und ist die ganze Schöpfung nicht ein kunstvoll geschriebenes Buch, in dem man wie in der Bibel lesen und es auslegen kann? Ja, genauso ist es, würde nun der Hl. Augustinus sagen, der später den Begriff das ‹Buch der Schöpfung› (liber creaturae) prägt und schreibt, man sollte die gesamte Schöpfung als ein grosses Buch der Naturdinge ansehen, dessen Autor Gott ist (Contra Faustum 32.20).

Die christliche Naturdeutung ist allerdings älter als Augustins Überlegungen und die Spuren führen nach Ägypten zu einer kleinen Schrift mit dem Titel Physiologus, die sehr wahrscheinlich irgendwann um das Jahr 200 n. Chr. in Alexandrien verfasst wurde. Hier wird zum ersten Mal die Natur christlich gedeutet und diese Deutung war so erfolgreich, dass sie noch heute die christliche Kunst prägt, obwohl sie im Grunde verboten wurde (Decretum Gelasianum 6.11). Wenn Sie sich also zum Beispiel wundern, was ein Pelikan mit dem Abendmahl zu tun hat oder ein Einhorn mit der Jungfrau Maria, finden Sie in diesem kleinen Büchlein die Antwort.

Die Auferstehung? Das kann ein Vogel auch!

Das Thema der Auferstehung darf in einem christlichen Buch natürlich nicht fehlen und welches Tier eignet sich hier besser als Beispiel als ein Vogel, der ebenso auferstehen kann und dies sogar alle ein paar hundert Jahre tut. Es handelt sich natürlich um den Phönix, der sich im altägyptischen Heliopolis selbst auf dem Altar verbrennt und aus der Asche aufersteht. Wenn dies also ein Vogel kann, so die Argumentation des unbekannten Autors (Physiologus 7), wie kann dann jemand an den Worten des Herrn zweifeln, der im Johannesevangelium sagt: «Ich habe Macht, mein Leben hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen» (Joh 10,18). Doch es müssen nicht immer exotische Tiere sein: Das Osterevangelium zu verkünden und uns zum Leben aus dem Glauben zu ermahnen, das kann auch eine Schwalbe tun:

Wenn der Winter vergangen ist, erscheint im Frühling die Schwalbe und plaudert vor Tagesanbruch, indem sie die Schläfer zur Arbeit ruft. So auch die vollkommenen Asketen: Wenn der Wintersturm des Leibes vorbei ist, will sagen, alle fleischliche Begierde erloschen ist, dann gedenken sie in Reinheit auf ihrem Lager des Herrn, richten am Morgen ihren Sinn auf ihn und erwecken die vom Schlaf Beschwerten dazu, das Gute zu wirken, und rufen (Eph 5,14): «Wach auf, du Schläfer, steh auf von den Toten, und Christus wird dein Licht sein». (Physiologus 33)

Als vollkommene Christen sollten wir also schon jetzt aus der Kraft des ewigen Lebens schöpfen.

Die Auferstehung ist jetzt

Viele Christinnen und Christen der ersten Jahrhunderte sehen in der Auferstehung also nichts Übernatürliches. Denn wir haben das Leben in uns und sind unsterblich, wie der christliche Lehrer Valentinus bereits im zweiten Jahrhundert in einer Predigt festhält:

Von Anfang an seid ihr unsterblich und seid Kinder des ewigen Lebens, und ihr wolltet den Tod unter euch aufteilen, damit ihr ihn aufreibt und vernichtet und damit der Tod in euch und durch euch stürbe. Denn wenn ihr den Kosmos auflöst, ihr selbst aber nicht aufgelöst werdet, so seid ihr Herren über die Schöpfung und über die ganze Vergänglichkeit. (Fragment 4)

Durch unseren Tod wird der Tod vernichtet, löst sich auf und mit ihm auch die Welt, in der er herrscht. Es geht also nur darum, sich dessen bewusst zu werden, es in Anspruch zu nehmen und aus der Auferstehung zu leben. Denn Gott «hat uns mit Christus Jesus auferweckt und uns zusammen mit ihm einen Platz in den himmlischen Bereichen gegeben» (Epheser 2,6).


Erschienen in «Bote vom Untersee und Rhein» am 14. April 2022.